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«Es braucht einen offenen Geist, Durchhaltewille und Humor»

Rudolf Schiess, 15 Jahre lang Leiter des Ressorts Regional- und Raumordnungspolitik beim SECO, ist am 1. August in den Ruhestand getreten. Im Gespräch mit regiosuisse verrät er, welche Eigenschaften in seiner Tätigkeit besonders wichtig waren. Zudem blickt er auf die Entwicklung der Schweizer Regionalpolitik zurück und erklärt, warum er seiner Nachfolgerin bewusst keine Tipps geben möchte.

regiosuisse: Herr Schiess, Sie haben 15 Jahre lang das Ressort Regional- und Raumordnungspolitik geleitet und treten nun in den Ruhestand. Mit welchen Gefühlen verlassen Sie das SECO? 
Ich gehe mit einem guten Gefühl – im Bewusstsein, dass ich ein engagiertes Team zurücklasse. Nach fast 35 Jahren in der Bundesverwaltung, davon 15 Jahre als Ressortleiter, ist es Zeit für mich, das SECO zu verlassen und die Verantwortung weiterzugeben. Dies mache ich weder mit grosser Wehmut, noch mit grosser Freude.

Die Schweiz hat rund 40 Jahre Erfahrung mit Regionalpolitik – angefangen mit dem Investitionshilfegesetz (IHG) in den 1970er-Jahren. Sie haben die Entwicklung aus nächster Nähe mitverfolgt und die letzten Jahre mitgeprägt. Ihr persönliches Fazit? 
Ich bin davon überzeugt, dass Regionalpolitik grundsätzlich eine gute Sache ist. In der Schweiz hatten wir jeweils die richtigen Instrumente zur richtigen Zeit. Es wäre falsch, das IHG nach den heutigen Bedürfnissen und Möglichkeiten zu beurteilen. Damals war es ein sehr gutes Instrument, das sich jedoch mit der Zeit «abnutzte». Ausserdem wurde das Instrumentarium stetig erweitert – etwa durch den Bonny-Beschluss in der Uhrenkrise oder mittels flankierenden Massnahmen im Hotelwesen. In den 1990er-Jahren wurde das IHG revidiert und durch INTERREG sowie Regio Plus ergänzt. Damit entwickelte sich das Instrumentarium immer mehr zu einem «Sammelsurium» verschiedener Aufgaben. Es entstand das Bedürfnis nach einer neuen, umfassenden Gesetzesgrundlage. 

2008 trat die Neue Regionalpolitik – die NRP – in Kraft. Mit ihr fand ein Paradigmenwechsel statt. Wie haben Sie diesen erlebt?
Den Anfang erlebte ich als sehr «harzig». Für jene Akteurinnen und Akteure, die vorher 30 Jahre lang mit dem IHG gefördert wurden, war die Umstellung nicht einfach. Aus Sicht der Regionen war und ist dies auch nachvollziehbar: Eine Region möchte in erster Linie ihre regionalen Probleme lösen und den grösstmöglichen Nutzen für sich herausholen. Aufgabe des Bundes ist es hingegen, einen umfassenden Gesamtblick zu wahren und eine sinnvolle Regionalpolitik aufzubauen. Mit der NRP ist uns dies gelungen, wie auch die Evaluation zeigt. 

Was konnte die NRP – Ihrer Meinung nach – bis heute bewirken?
Was der Bund damals mit der NRP ausgelöst hat, ist inzwischen vor allem auf kantonaler Ebene, aber auch in vielen Regionen gut angekommen. Durch die NRP konnte bereits eine Menge an guten Projekten entwickelt und umgesetzt werden. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass es einen Anteil gescheiterter Projekte gibt oder solche, die keinen grossen Nutzen gebracht haben. 

Wie sehen Sie die Zukunft der NRP in der Schweiz? 
Die NRP ist heute bei den Kantonen weitgehend akzeptiert. Nun wird es Zeit, dass der Bund mit dem neuen Mehrjahresprogramm einen Schritt vorwärts macht. Dabei ist es wichtig, noch fokussierter zu fördern. Der Bund sollte sich auf die beiden Schwerpunkte «Innovationsförderung» und «Tourismus» konzentrieren. Auch innerhalb der Fördergebiete sollte nicht einfach «alles und jedes» gefördert werden. Die Mittel müssen gezielt dort eingesetzt werden, wo die grösste Hebelwirkung zu erwarten ist. Beispielsweise sollten kantonale Aktivitäten im Bereich «Innovationsförderung» idealer aufeinander abgestimmt sein. Hierzu befinden wir uns momentan in einer Diskussion mit den Kantonen.

Allerdings wird das Spielfeld, mit jedem Schritt nach vorne, immer enger: Zuerst die Fokussierung auf rein wirtschaftspolitische Zielsetzungen, danach der Exportbasisansatz. Die Diskussion darüber, was man zweckmässigerweise fördern soll, wird weitergehen. Meines Erachtens sollen wir jedoch «den Pfad der Tugend» nicht verlassen. Wir sollten also nicht wieder in Ausgleichsaufgaben oder in den Bereich der Grundversorgung abschweifen. Für diese Zwecke existieren in der Schweiz bereits andere wirkungsvolle Instrumente. Die NRP sollte weiterhin klar darauf fokussieren, die Wettbewerbsfähigkeit der Regionen zu stärken. In Zukunft gilt es allerdings die Akteure noch stärker ins Zentrum zu stellen. Neben der bisherigen Förderung von Projekten und Programmen sollen die Absorptions- und Umsetzungskapazitäten der verantwortlichen Leute in den Regionen vermehrt Gewicht erhalten.

Auch die Zusammenarbeit mit anderen Bundesstellen sehe ich als eine der künftigen Herausforderungen – ebenso die Neuaufgleisung von regiosuisse 2015 mit einer Neuausschreibung.

Werden Sie das weitere «Schicksal» der NRP mitverfolgen? 
Ja, ich werde mich bestimmt zwischendurch über die Website des SECO und derjenigen von regiosuisse auf dem Laufenden halten – im Gegensatz zu heute als Beobachter und nicht mehr als Akteur.

Als Ressortleiter hatten Sie täglich mit vielen Menschen zu tun. Welche drei Eigenschaften waren für Sie dabei die wichtigsten?
Es braucht einen offenen Geist, der sich vor Neuem nicht verschliesst. Ebenso wichtig ist ein starker Durchhaltewille, um sich – falls nötig – auch mal gegen den Strom zu stellen. Und schliesslich – ganz wichtig – darf man den Humor nie verlieren. 

Hätten Sie sich als Student vorstellen können, Ihre berufliche Karriere dereinst in der Regionalpolitik zu beenden? 
Nein, damals hatte ich eher die Entwicklungszusammenarbeit im Fokus. Im Studium an der HSG wählte ich die Vertiefungsrichtung «Aussenwirtschaft und Entwicklungsländer». Im Nachhinein betrachtet, war es aber gar kein so grosser Szenenwechsel. Was ich während meines Studiums über Entwicklungshilfe lernte, kam mir auch in der Schweizer Regionalpolitik zu Gute. Auch wenn diese auf einer ganz anderen Ebene ansetzt, sind die Mechanismen teilweise doch ähnlich. 

Woher kommt Ihr Interesse für die Regionalentwicklung und die Regionalpolitik? 
Das ist schwierig zu sagen. Vielleicht kommt das aus meinem Elternhaus. Mein Vater war Geschäftsführer einer landwirtschaftlichen Genossenschaft. Ausserdem bin ich im ländlichen Wangen an der Aare aufgewachsen. Dadurch wurde ich schon in meiner Jugend mit Fragen der regionalen Entwicklung konfrontiert. Doch vieles ist letztlich auch Zufall.

Gibt es Dinge, die Sie in Ihrer Zeit als Ressortleiter gerne realisiert hätten? 
Als ich in den 1970er-Jahren in die Regionalentwicklung einstieg, hatte ich noch die Vorstellung, die Disparitäten in der Schweiz endgültig zu beseitigen. Das ist zwar eine sehr erfüllende Aufgabe, doch wird es Disparitäten wahrscheinlich immer geben. Und selbst wenn einzelne Projekte beendet sind – die Politik ist nie fertig. Wird ein Programm abgeschlossen, so beginnt schon das nächste. Je nach Optik könnte man also auch frustriert sein, aber das ist bei mir nicht der Fall. Ich sehe die einzelnen kleinen Fortschritte und Ergebnisse.

Was war Ihr persönliches Highlight während Ihrer Zeit als Ressortleiter?
Die ganze Vorbereitung der NRP gehört definitiv zu den Highlights. Diese Phase war für mich sehr erfüllend. Wir haben es damals geschafft, verschiedene Gesetzeserlasse in einem Rahmengesetz zusammenzufassen und dieses mit dem Finanzausgleich sowie den Grundversorgungsaufgaben abzustimmen. Es gelang, ein Profil für die Regionalpolitik zu finden, das eine Lücke gefüllt und keine Doppelspurigkeit erzeugt hat. Damit konnten wir eine gute Basis für die Akzeptanz der NRP legen.

Was werden Sie an Ihrer Arbeit am meisten vermissen? 
Vermissen werde ich sicherlich das gut aufgestellte Team. Auch die tägliche, spannende Herausforderung wird mir fehlen. Dies muss ich dann im Ruhestand «künstlich ersetzen». Wie ich das mache, weiss ich noch nicht. Ich sage aber immer: «Wenn mir nichts in den Sinn kommt, dann habe ich es auch verdient, dass ich mich langweile». 

Gibt es Dinge, die Sie sicherlich nicht vermissen werden?
Die ganze «Veradministrierung» der Verwaltung werde ich bestimmt nicht vermissen. Dadurch werden Räume für neue Ideen eingeengt. Das unternehmerische Denken ist zugleich etwas, das mir in der öffentlichen Verwaltung immer ein bisschen gefehlt hat.

Welche Tipps geben Sie Ihrer Nachfolgerin Valérie Donzel auf den Weg? 
Ich werde sie natürlich darüber informieren, was es zu erledigen gilt. Tipps möchte ich ihr aber keine geben – jedenfalls nicht ungefragt. Sie hat ihre eigenen Ideen. Da will ich mich nicht einmischen. Es kann durchaus sein, dass gewisse Dinge in Zukunft ganz anders gestaltet werden, als ich dies in Vergangenheit gemacht habe. 

Was werden Sie an Ihrem ersten Tag im Ruhestand tun? 
Erst einmal werde ich die Nationalhymne singen – schliesslich ist ja 1. August (lacht). Ein paar Tage später werden wir die Fenster an unserem Haus ersetzen. Dann muss ich für eine 2-wöchige Veloreise Ende September trainieren. Ich möchte mich in Zukunft auch gerne im Bereich Fotografie weiterbilden. Ausserdem freue ich mich darauf, endlich wieder mal in aller Ruhe ein Buch zu lesen. Da warten also schon ein paar Aufgaben auf mich.

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