Das Virus als Innovationsbeschleuniger
Die Bewältigung der Corona-Krise beschäftigt die Coaches der Regionalen Innovationssysteme (RIS) mindestens in doppelter Hinsicht: Die Unternehmen verlangen nach professioneller Beratung sowohl beim eigentlichen Krisenmanagement als auch bei Innovationsvorhaben. Denn überraschend viele Startups und KMU haben mitten im Lockdown neue Projekte angestossen, von denen mittlerweile die meisten schon weit gediehen oder bereits umgesetzt sind.
Dass «jede Krise auch eine Chance ist» und der in diesen Tagen vielzitierte Satz nicht einfach eine Durchhalteparole, beweist die Sensopro AG in Münsingen BE. Die Firma produziert seit ein paar Jahren Fitnessgeräte für ein gelenkschonendes und vielseitiges Koordinationstraining. Das erfolgreiche Jungunternehmen beschäftigt mittlerweile über 30 Personen und hat schon rund 950 der 300 Kilo schweren Geräte verkauft. Diese sind vor allem in Fitnesscentern und, nach der europaweiten Zulassung als Medizinprodukt der Klasse I, seit zwei Jahren vermehrt auch in Physiotherapien und Gesundheitszentren im Einsatz. Nebst dem Heimmarkt zählt die Sensopro AG auf Kunden in über zehn Ländern und auf drei Kontinenten. «Im Februar, also im letzten Monat vor Beginn der Corona-Pandemie, verzeichneten wir einen Rekordumsatz. Doch dieser Boom fand leider mit dem Lockdown, der im März die Fitness- und Therapiemärkte für einige Wochen in die Knie zwang, ein jähes Ende», erklärt CEO Jan Urfer. Das Unternehmen musste in der Folge einen Teil der Belegschaft in Kurzarbeit schicken.
In den Geschäftsräumen in Münsingen wurde es plötzlich ziemlich ruhig. Endlich hatte die Geschäftsleitung Zeit, sich nicht nur mit dem Tagesgeschäft zu befassen. Der Geschäftsleiter und sein Team entschlossen sich zu einem ambitiösen Innovationsprojekt. Eigentlich hatten sie es schon länger im Fokus, doch in der Hektik vor Corona war es immer wieder aufgeschoben worden. Um sich beim Vorhaben nicht blind ins Abenteuer zu stürzen, kontaktierte Urfer die Be-Advanced AG. Die Beratungsfirma koordiniert im RIS Mittelland das Innovationscoaching. «Wir erhofften uns einmal mehr genauso tatkräftige Hilfe, wie wir sie im Herbst 2019 bei unserer Strategieentwicklung bereits erhalten hatten», so Urfer.
Worst-Case ‒ oder zurück auf die Erfolgsspur
RIS-Coach Nicolas Perrenoud, der vor allem Startups und KMU betreut, unterstützte die Sensopro AG schliesslich bei ihrem Innovationsprojekt. «Zuerst ging es primär darum, das kurzfristige Finanzmonitoring sowie die mittel- und langfristige Finanzplanung zu professionalisieren», betonen Urfer und Perrenoud einstimmig. Seit Juli setzt die Sensopro nun auf das Instrument einer detaillierten Finanzplanung mitsamt Free-Cash-Flow-Berechnung. Eine Hausaufgabe ist damit erledigt worden, die es der Firma erlaubt, ihre Finanzen besser im Griff zu behalten. Gleichzeitig lassen sich so die Chancen von Neuinvestitionen präziser abschätzen. «Im Wissen um sämtliche Risiken haben wir unser Innovationsprojekt zuversichtlich angehen können, nicht zuletzt dank dem Coaching von Nicolas Perrenoud», betont Urfer. Das Innovationsvorhaben ist inzwischen ziemlich weit fortgeschritten, sodass das neue Produkt noch in diesem Jahr marktreif sein könnte. Ausserdem steht die Sensopro AG auch mit ihren laufenden Geschäften (Stand Ende August) viel besser da, als der Chef im März befürchtet hatte. Der Bestellungseingang liegt jedenfalls deutlich über dem damals skizzierten Worst-Case-Szenario, und grössere Debitorenausfälle hat es keine gegeben. Die Kurzarbeit ist Vergangenheit und die gesamte Belegschaft seit einem Monat wieder voll im Einsatz. Beste Aussichten also, dass das junge Unternehmen bald schon auf seinen von Covid-19 unterbrochenen Erfolgskurs zurückfindet.
Zwar verlange die aktuelle Situation weiterhin hohe Aufmerksamkeit, meint Urfer, und die Krise dürfte noch nicht vollends ausgestanden sein. Doch die Zuversicht ist zurückgekehrt. Und Urfer ist überzeugt, dass die in den letzten Monaten vom RIS-Coach geleistete professionelle Unterstützung dem Unternehmen noch weit über die eigentliche Corona-Zeit hinaus von Nutzen sein wird.
Digitourism weckt Walliser Erfindergeist
Der Kanton Wallis und die Stiftung The Ark lancierten Anfang Mai die Initiative Digitourism, an der sich rund 30 Jungunternehmen mit Vorschlägen beteiligten. Eine Jury wählte schliesslich acht Projekte aus, die in der Folge mit Unterstützung von CimArk, dem verlängerten Arm von Platinn und damit dem RIS Westschweiz, umgesetzt wurden. Der gemeinsame Nenner: Sämtliche Vorhaben zielen darauf, den Tourismus im Kanton mit Hilfe von digitalen Lösungen neu anzukurbeln, wie die folgenden Beispiele zeigen:
- Guidos.bike: Das Startup Guidos.bike hat den digitalen und personalisierten Tourguide «Guidos» innerhalb von wenigen Wochen zur Marktreife entwickelt. Eigentlich handelt es sich um ein intelligentes GPS, das auf dem Bike montiert wird und den User auf einer individuell gestalteten Tour begleitet. Bereits im Juli und August konnte die erste Version von Guidos bei 40 Outdoor-Anbietern intensiv getestet werden. Seit dem 5. September wendet sie mit Verbier erstmals auch eine grosse Tourismusdestination an. «Die Rückmeldungen der Benutzerinnen und Benutzer sind durchwegs positiv; sie zeigen, dass unser neues Tool sehr gut funktioniert», erklärt Baptiste Roduit, Mitgründer des Startups. Der Weg ist frei, den digitalen Tourguide nun breiter zu vermarkten. Guidos.bike wird auch bei diesem letzten Schritt, der Kommerzialisierung, weiterhin von CimArk unterstützt. Deren Coaches haben das Innovationsprojekt von Beginn weg begleitet. «Vor allem als es darum ging, das neue Vorhaben in unser bestehendes Geschäftsmodell zu integrieren, war die externe Beratung unverzichtbar», so Roduit.
- R&D Cycling: Eigentlich organisiert R&D Cycling mit Sitz in Granges grosse Bike-Events und Velorennen. Firmenchef Grégory Saudan und sein Team haben dabei die Erfahrung gemacht: Bevor Sportanlässe im öffentlichen Raum überhaupt bewilligt werden, müssen Veranstalter ein umfangreiches Sicherheitsdossier bei den Ordnungsdiensten einreichen. «Die Erstellung dieses Dossiers ist mühsam und zeitaufwendig», sagt Saudan. Schon länger wälzte er eine Idee, die er mit seinen Leuten während der Corona-Flaute endlich in die Tat umzusetzen begann: R&D Cycling hat das Tool Barry Race Safety & Management entwickelt. Die digitale Lösung ermöglicht es Veranstaltern, ihre Sicherheitsdossiers fortan viel schneller zu erstellen und die Sportanlässe effizienter abzuwickeln. «Wir haben das neue digitale Werkzeug bereits realitätsnah getestet und dabei festgestellt, dass der Zeitgewinn enorm ist», so Saudan. Um zum Beispiel eine Tour de Suisse-Etappe sicherheitstechnisch zu planen, muss der Veranstalter künftig für das Dossier bloss noch zwei Arbeitstage oder ein Fünftel der bisher notwendigen Zeit aufwenden. R&D Cycling ist nun damit beschäftigt, das neue Tool in der Sportszene breiter zu vermarkten. Bei der Suche nach möglichen Partnern wird das Jungunternehmen von den CimArk-Coaches unterstützt.
- Travelise.ch: Seit 2016 bietet das Startup Travelise.ch sogenannte Überraschungsreisen an. Vor Corona führten diese Ausflüge jeweils durch mehrere europäische Länder, wobei die Kundinnen und Kunden bei der abenteuerlichen Fahrt ins Blaue von einer App geleitet wurden. Dieses Reisekonzept kam während der Pandemie jedoch praktisch zum Erliegen. Das Startup aus Sierre musste, um auf dem Markt weiter aktiv bleiben zu können, schnell umdisponieren. Mit dem Resultat, dass die Überraschungsreisen statt in fremde Länder jetzt in die nähere Heimat, also ins Wallis führen. «Valais Tour» heisst das entsprechende Angebot. Seit Anfang Juli ist eine neue App-Lösung in Betrieb. Sie funktioniert sozusagen als persönlicher Tourguide des Überraschungsreisegastes. Die App wird, wie Morgane Pfefferle, CEO und Mitgründerin von Travelise.ch erzählt, seit dem ersten Tag ihrer Lancierung rege genutzt. «Wir haben im Juli und August über diesen neuen Kanal 400 digitalisierte Überraschungsreisen verkauft, wobei die speziell konzipierten Gruppenreisen noch nicht mitgerechnet sind», sagt Pfefferle. Das Jungunternehmen Travelise.ch, das seit dem Start vor vier Jahren auf den Support von CimArk zählt, wird auch beim jüngsten Projekt von den Innovationscoaches unterstützt. «Die grosse Erfahrung, in unserem Falle von Jérôme Salamin, und seine kritische Aussensicht sind für die Entwicklung unserer Geschäfte geradezu unverzichtbar», lobt Pfefferle.
- WebEvolutions Sarl: Die Software-Entwickler von WebEvolutions Sarl haben die Plattform Swisskischool.ch, über die verschiedene Schweizer Skischulen ihre Kurse verkaufen und managen, in der Corona-Krise mit weiteren Funktionalitäten aufgerüstet. Auf der Plattform finden sich neuerdings auch Informationen über die gesundheitliche bzw. die epidemische Situation und allfällige sanitäre Restriktionen in der jeweiligen Region. Diese Informationen fliessen automatisch in den digitalen Organisationsprozess. Unter anderem können Hotels und Immobilienbewirtschafter so auch die Einsatzpläne ihrer Reinigungsequipen planen, abgestimmt selbstverständlich auf eventuelle Pandemie-Vorschriften. Ausserdem wurde der Promotions- und Verkaufsprozess auf der Plattform weiter personalisiert. «Die neuen Funktionalitäten, die wir im Juli aufgeschaltet haben, werden bereits rege genutzt», sagt Firmenchef Kristof van Henden. Den wahren Stresstest wird das erweiterte Management-Tool vermutlich erst in der kommenden Wintersaison erleben.
- C.T. Creative Technologies SA: Die C.T. Creative Technologies SA ist spezialisiert auf Software-Entwicklung für die Immobilienbranche und den Tourismus. Unmittelbar nach dem Lockdown im März machte sich das Entwicklerteam an ein neues Projekt: eine Lösung, die das Einchecken in Ferienwohnungen via App ermöglicht, ohne dass sich Gast und Vermietungsagentur physisch begegnen. Das Tool wird momentan in Pilotversuchen ausgiebig getestet. «Wir sind zuversichtlich, dass wir es noch vor der Wintersaison bei unseren Kunden aufschalten können», meint Lionel Ançay, CEO von C.T. Creative Technologies. Einmal im Einsatz, soll sich die Lösung aufgrund der Feedbacks später problemlos erweitern lassen. Ausserdem ist sie mit sämtlichen geläufigen Buchungstools der Hotellerie bzw. Parahotellerie kompatibel. Auch in diesem Falle waren die Innovationscoaches von CimArk zur Stelle, um die Software-Entwickler beim strategischen Prozess und bei der Umsetzung des Vorhabens zu unterstützen.