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Die Deindustrialisierung – eine Chance, die Industrie zu überdenken

Die Deindustrialisierung – eine Chance, die Industrie zu überdenken

Seit den 1970er-Jahren verzeichnen die OECD-Länder bezüglich Arbeitsplätzen und Anteil am BIP einen fortschreitenden Rückgang der industriellen Aktivitäten. Das Schweizer Wirtschaftsumfeld ist von diesem Phänomen der Deindustrialisierung ebenfalls betroffen. Was unternimmt die Industrie, um dem immer stärker werdenden Druck eines immer wettbewerbsfähigeren internationalen Marktes zu widerstehen? Die von Unternehmen und öffentlichen Körperschaften entwickelten Strategien ermöglichen es nicht nur, die negativen Auswirkungen der Deindustrialisierung auf die Wirtschaft abzufedern, sondern eröffnen auch neue Chancen.

Ein Phänomen, das in der Schweiz an Tempo einbüsst

Das Outsourcing bestimmer Aufgaben der Industrieunternehmen an den Dienstleistungs­sektor, die Erhöhung der Produktivität – insbesondere dank der Weiterentwicklung der Automatisie­rung –, die Strategien zur Produktionsauslagerung und der Einfluss der Konkurrenz aus den Schwellenländern haben in den meisten OECD-Ländern seit über 40 Jahren eine fortschreiten­de Deindustrialisierung bewirkt. Die an Investoren gerichtete Publikation UBS Outlook Schweiz widmet sich in ihrer Ausgabe für das dritte Quartal 2016 diesem Thema. In der Publikation wird darauf hingewiesen, dass sich das industrielle Umfeld im Vergleich zu jenem der USA oder der Ländern der EU in den letzten 20 Jahren mehr oder weniger stabilisiert hat. Trotz der Überbe­wertung des Schweizer Frankens ging in der Schweizer Industrie seit 2010 nur ca. 1 % der Arbeitsstellen verloren. Auf der anderen Seite ist eine Tertiarisierung des Sektors festzustellen, in dem nun mehr als die Hälfte der Beschäftigten des sekundären Sektors eine Arbeit im Dienst­leistungs­bereich ausübt.

Ein Sektor, der sich anpasst und neu erfindet, indem er auf Qualität setzt

Bestimmte Industriebranchen passen sich schneller an die Entwicklung der Märkte an. In den vergangenen Jahren war in der Schweizer High-tech-Industrie, die auf Innovation, Leistung und einen hohen Mehrwert ihrer Produkte setzt, eine Tendenz zur Reindustriali­sie­rung fest­zu­stellen. Die einzigen Branchen, die gegenüber der internationalen Konkurrenz einen Wett­be­werbsvorteil aufweisen, sind die Pharma-, die Präzisionsinstrumente- und die Uhrenindustrie. Die UBS-Publikation zeigt auf, dass der Vorteil bei den Exporten ganz ausgeprägt qualitativer (61%) und kaum preislicher Art (4%) ist, der es den Schweizer Produkten erlaubt, sich zu positionieren. Das Aufkommen von Industrie 4.0 muss ebenfalls berücksichtigt werden. Diese neue Revolution wirkt sich dank untereinander verbundener, dadurch «intelligenterer» – und ergo leistungsfähigerer – Produktionsmittel auf die Prozesse in den Unternehmen aus. Sie betrifft auch den Rest der Wertschöpfungskette, indem beispielsweise auch die Energie­versorgung, die Logistik oder intelligente Verkehrsnetze, bei denen die Gebietsauf­teilung eine zentrale Rolle spielt, einbezogen werden. Die Gesamtheit des neu gestalteten Systems ermöglicht es, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu erhöhen und könnte zu einer be­stimm­ten Form der Reindustrialisierung führen.

Die Rolle der Regionen für die Entwicklung der Industrie

Die Strategien, die von öffentlichen Körperschaften in Sachen Raumplanung und Wirtschafts­förderung entwickelt worden sind, ermöglichen es, die Industrie in ihrer Entwicklung zu unter­stützen. So erlaubt es etwa die Neuansiedlung von Industrien ausserhalb städtischer Zentren, diese leistungsfähiger und nachhaltiger zu gestalten, indem eine neue Generation von Arbeitszonen geschaffen wird. Das ist zum Beispiel der Fall beim Parc industriel de la Plaine de l’Ain (PIPA) in Frankreich, der ein sehr attraktives Umfeld bietet, das Innovation und Synergien unter den Unternehmen begünstigt. Die Umnutzung von Industrie­geländen, die wegen der Deindustrialisierung brachliegen, stellt eine weitere Herausforderung dar. Das Projekt Confluence in Lyon ist ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche Umwandlung, bei der ein gemischtes Quartier entstand, das Lebensqualität mit Innovation und Nachhaltigkeit kombi­niert. Das künftige Quartier Praille-Acacias-Vernets (PAV) in Genf ist mit ähnlichen Heraus­forderungen konfrontiert. Ziel ist es, eine Industriezone in ein gemischtes städtisches Quartier von hoher Qualität zu verwandeln. Auf regionaler Ebene können derartige Projekte in eine auf das jeweilige Gebiet bezogene Standortförderunggsstrategie integriert werden, wie das beispielsweise der Fall in der Region Lyon ist, wo dank der Integration, Aktivitäten mit hohem Mehrwert ange­zogen und entwickelt werden konnten. Die Strategien, die angesichts der Deindustrialisierung und der Entwicklung der Industrie 4.0 angewendet werden müssen, betreffen also sowohl städtische wie auch ländliche Zonen und setzen eine enge Zusammenarbeit zwischen öffentli­chen und privaten Akteuren voraus. Sie entsprechen dem Raumkonzept Schweiz und dessen Absicht, den Raum kohärent zu entwickeln. Zu dieser kohärenten Entwicklung tragen die «Agglomerationspolitik» (AggloPol), die «Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete» (P-LRB) und die Neue Regionalpolitik (NRP) bei.

Bild: Bernd von Dahlen / pixelio.de

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