«regioS 15»: Chancen packen – grenzübergreifend
An Grenzen treffen Gebiete aufeinander, die zwar unterschiedlich verwaltet, aber meist auch funktional miteinander verbunden sind. Sie kämpfen mit ähnlichen Problemen und haben gemeinsame Interessen. Mit der Idee, die grenzüberschreitende und transnationale Zusammenarbeit zu fördern, startete die EU vor bald dreissig Jahren die Interreg-Programme. Von Beginn weg beteiligten sich Schweizer Kantone. Seit 1995 ist auch der Bund aktiv. Seit 2008 erfolgt die Teilnahme im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP). Die neue regioS-Ausgabe geht diesem Engagement nach und zeigt beispielhaft auf, was die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wirtschaftlich und politisch alles in Gang bringt.
Im Raum Basel macht der Rhein Kooperationen geradezu unerlässlich: beim Brückenbau, Hochwasser- und Artenschutz oder bei der Nutzung des grössten europäischen Grundwassergebietes. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat denn auch Tradition. Die Regio Basiliensis hat den Regio-Gedanken pionierhaft erweckt und koordiniert heute im Auftrag der Nordwestschweizer Kantone (BS, BL, AG, JU, SO) die Schweizer Beteiligung am Programm Interreg A Oberrhein. Den Oberrhein als mehrsprachigen Lebens-, Wirtschafts- und Forschungsraum sowie als grenzüberschreitende Wissens- und Innovationsregion weiterzubringen, lautet die gemeinsame Strategie. «Die Interreg-Projekte tragen zum Bewusstsein einer gemeinsamen Grenzkultur bei, verbinden und erzeugen grenzüberschreitenden Mehrwert», stellt Andreas Doppler von der Region Basilienis zufrieden fest.
Projekte mit Wirkung
Im Westen der Schweiz erfolgt die grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit im Rahmen des Programms Interreg A Frankreich–Schweiz. Dieses deckt sowohl das dynamische Genferseebecken mit seiner Spitzenforschung als auch den vergleichsmässig dünn besiedelten, eher ländlichen Jurabogen ab, mit seiner langen industriellen Geschichte in der Mechanik und Mikrotechnologie. Nach Einschätzung von Mireille Gasser, Generalsekretärin von arcjurasssien.ch und zuständig für die Koordination des Förderprogramms auf Schweizer Seite, wäre es zu hoch gegriffen, für dieses Gebiet, das flächenmässig fast so gross ist wie die Schweiz, eine gemeinsame Grenzkultur und Identität anzustreben. «Unser Ansatz ist eher pragmatisch: Wir wollen mit den Projekten neue Verbindungen schaffen und Kompetenzen aufbauen, die den kulturellen, wirtschaftlichen und touristischen Austausch im Alltag erleichtern», meint sie. Und sie betont: «Wirkung entfalten viele Projekte, vor allem wenn sie auch langfristig über die eigentliche Förderperiode hinaus funktionieren». Erfolgversprechend sei deshalb auch, wenn die längerfristige Finanzierung bereits in der Förderphase strategisch geplant werde.
Breit verankerte Zusammenarbeit
Das Programmgebiet von Interreg A Alpenrhein–Bodensee–Hochrhein (ABH) präsentiert sich als starker Wirtschaftsraum mit vielen exportorientierten mittelständischen Industrieunternehmen. In der aktuellen Förderperiode fokussiert Interreg ABH auf die weitere Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, auf Innovation, Beschäftigung, Bildung, Umwelt, Energie, Verkehr, Verwaltungszusammenarbeit und bürgerschaftlichen Gemeinsinn. «Unsere Grenzregionen sollen und wollen …zusammenwachsen», erklärt Stephanie Weder Horber, Mitarbeiterin der für die Schweizer Beteiligung verantwortlichen Netzwerkstelle Ostschweiz. Das Bewusstsein einer gemeinsamen Grenzkultur sei in der Verwaltung und Bevölkerung schon breit verankert. «Auf administrativer Ebene kennen sich die Akteurinnen und Akteure, es gibt kurze Dienstwege und schnelle Feedbacks.» Viele grenzüberschreitende Plattformen, Projekte und Veranstaltungen seien sehr bürgernah ausgestaltet und in der Bevölkerung gut verankert.
Fahrt aufgenommen hat mittlerweile auch das Interreg-V-A-Programm Italien–Schweiz, wo längere Verhandlungen zwischen den Programmpartnern den Start der Umsetzung verzögert haben. Die ersten 50 Projekte sind im Laufe dieses Sommers bewilligt worden und befinden sich nun in der Startphase.
Transnationaler Austausch
Nebst Fragestellungen, die sich bei der Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden funktionalen Räumen behandeln lassen, stellen sich Herausforderungen, bei denen der grossregionale Austausch sehr wertvoll ist. Die Schweiz beteiligt sich deshalb auch an den Interreg-B-Programmen Nordwesteuropa und Alpenraum. Vor allem Letzteres spielt eine wichtige Rolle. Im Fokus stehen dabei nicht nur die Berggebiete. Da das Alpenraum-Programmgebiet auch Metropolen wie Zürich, München, Lyon und Mailand umfasst, setzen viele Interreg-B-Projekte denn auch auf die Beziehungen zwischen den urbanen und den inneralpinen Räumen – im Tourismus, in der Bildung, der Kommunikation oder der Logistik. «Dies führt zu attraktiven Projekten mit einer interessanten Mischung von Projektpartnern», betont Silvia Jost von der Abteilung Internationales beim Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) fest, das die Schweizer Aktivitäten bei den Interreg-B-Programmen koordiniert.
Voneinander lernen
Die strukturellen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern machen für Klaus-Dieter Schnell, Geschäftsleiter der Internationalen Bodensee-Konferenz (IBK), den Reiz der Grenze aus, zumal es Probleme gibt, die man nur gemeinsam lösen kann. Hinzu kommen wirtschaftliche Herausforderungen wie die Digitalisierung und der Fachkräftemangel, bei denen man voneinander lernen kann, wenn man sie grenzüberschreitend angeht. Auch auf konzeptueller Ebene könne man voneinander lernen, meint Maurizio Michael: Wie funktionieren die Organisationen und Institutionen auf der anderen Seite? Und auch Mireille Gasser betont: «Auch wenn die politischen und institutionellen Unterschiede abweichende Vorgehensweisen zur Folge haben, gibt es häufig gute Ideen und Umsetzungsmethoden, von denen sich beide Partner inspirieren lassen können.
Lösungsorientierte Zusammenarbeit
Zu einer positiven Einschätzung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit kommen auch zwei Evaluationsberichte, die die Schweiz dieses Jahr erarbeiten liess. Demnach wird Interreg das Potenzial zugesprochen, einen Beitrag zur regionalwirtschaftlichen Entwicklung zu leisten. Die Interreg-Projekte tragen laut den Evaluationen zur Verbesserung der grenzüberschreitenden regionalen Beziehungen und vor allem zur Lösung gemeinsamer Probleme bei. Ein besonderer Wert liege darin, dass dies durch konkrete Projekte erfolge. Die Zusammenarbeit entwickelt sich meistens dann am erfolgreichsten, wenn es hüben wie drüben Leidensdruck und ein drängendes Problem gibt, das nur gemeinsam gelöst werden kann.
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