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Museum Mürren
Gastbeitrag

Soziale Innovationen in der Regionalentwicklung

Soziale Innovationen sind ab 2024 Teil der Standortförderung des Bundes insofern sie regionalwirtschaftliche Impulse auslösen. Soziale Innovationen sind Lösungsansätze für regionale Herausforderungen und tragen somit zur Regionalentwicklung bei. Wie soziale Innovationen entstehen können und welche Akteure dabei beteiligt sind, hat ein Forschungsteam der Universität Bern und der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) genauer untersucht. 

Entlang der Dorfstrasse von Mürren wechseln sich Hotels, Restaurants, Ferienwohnungen und Sport- und Souvenirläden ab. Aufmerksamen Einheimischen und Gästen fallen sicher auch die Schaufenster ins Auge, in denen Geschichten von Mürren erzählt werden. Diese Geschichten werden von Mitgliedern des Vereins MiniMuseum Mürren recherchiert und in den Fenstern ausgestellt. Die Schaufenster, die ohne das Museum leer stehen würden, werden dadurch belebt und tragen zu einem attraktiven Dorfbild und einer Inwertsetzung der Geschichte Mürrens bei. Mit dem MiniMuseum bietet Mürren proaktiv dem Strukturwandel die Stirn und der Verein entwickelte eine innovative Lösung für die Herausforderung des Leerstands in Berggemeinden.

Das MiniMuseum Mürren ist eine von 68 sozialen Innovationen im Berner Oberland, die ein Forschungsteam des Geographischen Institut, der Forschungsstelle Tourismus (CRED-T) Bern und der WSL im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Forschungsprojekt identifiziert haben. Soziale Innovationen sind neue Ideen, die aus der neuartigen Zusammenarbeit verschiedener Akteure entstehen. Soziale Innovationen sind aber nicht einfach nur Ideen, sondern sie erhöhen die Lebensqualität und/oder verändern die sozialen Beziehungen zum Positiven. Die beteiligten Akteure können Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen, Hochschulen, Universitäten und öffentlichen Institutionen wie Gemeinden, Kantone und der Bund sein. Die entstandenen neuen Ideen können regionale Herausforderungen lösen und dadurch zur regionalen Entwicklung beitragen (Abb. 2). Die nationale Politik anerkennt die Relevanz von sozialen Innovationen und macht sie ab 2024 explizit zum Thema im Rahmen der Standortförderung. Somit sind soziale Innovationen relevant für die Neue Regionalpolitik. Kantone und Regionen können sich Strategien überlegen, wie sie soziale Innovationen fördern wollen.

Definition von sozialer InnovationAbbildung 1: Definition von sozialen Innovationen


Das MiniMuseum löst die regionale Herausforderung von leerstehenden Schaufenstern, die das Dorf in einem ausgestorbenen Bild erscheinen lassen. Weitere soziale Innovationen sind z.B. das Geburtshaus Maternité Alpine, welches die Lücke der fehlenden Geburtenabteilung im Spital in der Region schliesst. Ein weiteres Beispiel aus dem öffentlich zugänglichen Inventar ist ein zweisprachiges Schneesportlager (Deux im Schnee) für Schulklassen. Dabei verhilft das Schneesportlager zu einer besseren Auslastung der touristischen Betriebe in der Zwischensaison und bietet eine Möglichkeit zum Sprachaustausch für die Schülerinnen und Schüler. 

Damit solche sozialen Innovationen entstehen konnten, waren Akteure notwendig, die das Problem erkannten und die Ressourcen, den Mut und den Biss hatten, eine Idee umzusetzen und weiterzuentwickeln. In einer ersten sogenannten Problemphase stand das Erkennen eines Problems und die Idee zur Lösung im Zentrum. Dabei zeigten sich Privatpersonen als treibende Kraft in der Entstehung von sozialen Innovationen. Doch bereits in der Problemphase suchten die Privatpersonen weitere Akteure, die bei der Implementierung in der zweiten Phase notwendig waren. Abbildung 3 zeigt den Entwicklungsprozess sozialer Innovationen und benennt die Schlüsselakteure in der entsprechenden Phase. 

Entwicklungsprozess soziale Innovation
Abbildung 2: Entwicklungsprozess & Schlüsselakteure von sozialen Innovationen (Wirth et al., 2022). 


In der Implementierungsphase gründeten im Beispiel MiniMuseum zusätzliche Privatpersonen aus der Region den Verein MiniMuseum Mürren. Zudem gab es Akteure, die bereit waren geschichtsträchtiges Material (bspw. historische Ski, Briefe, Kleider etc.) an das Museum abzugeben. Hinzu kamen Kontakte zum Alpinen Museum in Bern, die sich als äusserst wichtig erwiesen, um an notwendiges Wissen über «Geschichtenerzählung» und «Ausstellungsgestaltung» zu gelangen. An diesem Beispiel zeigte sich, dass für die Umsetzung der sozialen Innovation zusätzliche Akteure notwendig waren. Unsere Ergebnisse illustrieren zudem, dass diese Akteure Privatpersonen, Unternehmen, Vereine und Verbände waren, also sehr vielfältig sind. Interessanterweise offenbarte sich in keiner der untersuchten sozialen Innovationen ein finanzielles Interesse zu Beginn der Zusammenarbeit als Hauptmotiv.

In der Betriebsphase betrieben die Akteure die soziale Innovation. An diesem Punkt kam es auch vor, dass sich die soziale Innovation auf weitere Regionen ausbreitete und dadurch ihre Wirkung vergrösserte. Dieser sogenannte Kipppunkt (Tipping-Point) wird als kritischer Zeitpunkt definiert, an dem sich die weitere Entwicklung einer sozialen Innovation entscheidet. In manchen Fällen wurden die sozialen Innovationen regional oder sogar schweizweit kopiert und an den lokalen Kontext angepasst.
Das Minimuseum Mürren unterhält mittlerweile auch mehrere Schaufenster in der Nachbargemeinde Gimmelwald. Die sozialen Innovationen, die den Kipppunkt überschritten und sich auf weitere Regionen ausweiteten haben drei Besonderheiten gemein:

  • Erstens kamen neue Akteure während der Betriebsphase der sozialen Innovation hinzu. Dies waren öffentliche Akteure und öffentlich-rechtliche Partnerschaften. Diese trugen zur Weiterentwicklung der sozialen Innovation bei, indem sie Defizitgarantien, politische Macht, Arbeitsressourcen, Netzwerk und Wissen für die soziale Innovation einbrachten.
  • Zweitens profitierten alle involvierten Akteure auf eine gewisse Weise von der sozialen Innovation. Insbesondere gingen die Akteure, die in der Betriebsphase neu dazukamen, davon aus, durch die Mitarbeit in der sozialen Innovation einen persönlichen Nutzen und/oder einen Nutzen für die Organisation zu haben. An dieser Stelle gilt es zu betonen, dass dieser Nutzen für die Akteure überhaupt nicht oder nur schwer messbar ist, aber gemäss Aussagen aus den Interviews vorhanden sei.
  • Drittens war die soziale Innovation in der Region und unter den involvierten Akteuren akzeptiert und dadurch keinem oder nur geringem politischen Gegenwind ausgesetzt. 


Unterstützung von sozialen Innovationen

Bezeichnend ist, dass in allen drei Phasen Personen involviert waren, die stets von der sozialen Innovation überzeugt waren und deren Idee, Umsetzung und Betrieb konsequent weiterverfolgten. Diese Akteure waren darauf angewiesen, sich mit neuen Akteuren auszutauschen und sich zu vernetzen. Für eine Gemeine oder für eine Region ist es somit wichtig, diese Austauschmöglichkeiten zu schaffen und Diskussionsplattformen anzubieten damit Ideen generiert und zivilgesellschaftliche Initiativen ermöglicht werden. Eine an Herausforderungen orientierte regionale Innovationspolitik, die soziale Innovationen integriert und unterstützt, bedeutet somit nicht, ausschliesslich Geld bereitzustellen. Vielmehr geht es darum, Räume aber auch Möglichkeiten für zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu schaffen (Problemphase) und aktive Unterstützung durch Netzwerke, Arbeitskräfte, finanzielle Garantien sowie Wissen bereitzustellen und zu leisten (Implementierungsphase und Betriebsphase). 


Autorenschaft:

Dr. Samuel Wirth
Forschungsprojekt Soziale Innovationen im Schweizer Berggebiet

Prof. Dr. Heike Mayer
Forschungsprojekt Soziale Innovationen im Schweizer Berggebiet
Unitleitung Wirtschaftsgeographie Universität Bern

Dr. Monika Bandi Tanner
Forschungsprojekt Soziale Innovationen im Schweizer Berggebiet
Co-Leiterin Forschungsstelle Tourismus (CRED-T) Universität Bern

Dr. Pascal Tschumi
Forschungsprojekt Soziale Innovationen im Schweizer Berggebiet

Andrea Winiger
Forschungsprojekt Soziale Innovationen im Schweizer Berggebiet

Prof. Dr. Irmi Seidl
Forschungsprojekt Soziale Innovationen im Schweizer Berggebiet
Co-Leiterin Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL)
 

 

Quelle Foto: Schaufenster des MiniMuseum in Mürren (Foto: Samuel Wirth)

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