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Rafael Albornoz - Hand mit Zweigen

Nachhaltige öffentliche Beschaffung: Handlungsmöglichkeiten für Regionen

Die öffentliche Hand (Bund, Kantone, Städte und Gemeinden) beschafft jährlich Güter und Dienstleistungen in der Höhe von rund 40 Milliarden CHF. Dies entspricht einem Anteil von 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Mit dem revidierten Beschaffungsrecht werden öffentlichen Beschaffungen zu einem starken Hebel, um die Wirtschaft in nachhaltigere Bahnen zu lenken. Welche Handlungsmöglichkeiten sich den Regionen bietet, erläutert Florian Schuppli.

Gastbeitrag: Florian Schuppli: Stv. Geschäftsleiter seeland.biel/bienne, BHP Raumplan AG

Am 21. Juni 2019 haben National- und Ständerat nach mehrjährigen Verhandlungen die Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BÖB) verabschiedet. Das Gesetz ist kompatibel mit den international geltenden WTO-Bestimmungen und tritt voraussichtlich am 1. Januar 2021 in Kraft. Auf eine Harmonisierung der Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen wird auf Basis der revidierten interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) hingearbeitet. Für die Vergabe öffentlicher Aufträge ist neu «der wirtschaftlich und der volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltige Einsatz der öffentlichen Mittel» erstes Gesetzesziel. Der Zuschlag soll künftig an das in diesem Sinne «vorteilhafteste» statt wie bisher an das «wirtschaftlich günstigste» Angebot gehen. Damit ändert sich die Ausgangslage für Firmen und Behörden: Güter und Dienstleistungen sind nicht nur hinsichtlich des Anschaffungspreises zu beurteilen, sondern die Kosten sind über den gesamten Lebenszyklus zu betrachten.

Chance für die Kreislaufwirtschaft

Wenn neben dem Preis die Langlebigkeit und Innovation von Produkten und Dienstleistungen, faire Arbeitsbedingungen und Umweltverträglichkeit entscheidende Einkaufskriterien werden, eröffnet dies Chancen für die Kreislaufwirtschaft. Dies zeigte sich an einem Kongress, den die Stiftung Pusch am 29. Oktober 2019 in Biel durchgeführt hat. Produkte sollen so designt sein, dass sie durch Teilen, Wiederverwenden, Reparieren, Wiederaufbereiten oder Recyceln möglichst lange ihren Wert behalten (z.B. Recyclingbaustoffe, Mehrwegverpackungen). Geschäftsmodelle sind gefragt, bei denen die Langlebigkeit nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile bringt. Gegenüber klassischen Verkaufsmodellen gewinnen Miet-, Leasing-, Second Use-, Abo- und Dienstleistungslösungen an Bedeutung (z.B. Mietmodelle für Schulraumausstattungen oder Beleuchtungssysteme, Sharingmodelle für Elektrofahrzeuge, Reparaturdienstleistungen für Elektrogeräte). Das Netzwerk Circular Economy Switzerland ist Impulsgeber für solche, zur Kreislaufwirtschaft zählenden Ansätze. Mit dem Projekt Circular Cities Switzerland werden beispielsweise in grösseren Schweizer Städten das Kreislaufpotential systematisch ermittelt, Strategien erarbeitet und Pilotprojekte umgesetzt. Das Projekt Make Furniture Circular unterstützt die Beschaffung von kreislauffähigen Büro- und Schulmöbeln.

Potenziale durch regional koordinierte öffentliche Beschaffung nutzen

Rund 80 Prozent der öffentlichen Beschaffungen fallen in der Schweiz auf die Kantone, Städte und Gemeinden. Sie verfügen über ein enormes Potenzial, die Nachfrage nach kreislauffähigen Produkten und Dienstleistungen zu steigern. Sie haben auch die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit den Anbietern die Entwicklung solcher Lösungen zu fördern und damit das Angebot zu erhöhen. Wenn auch kleinere Städte und Gemeinden dieses Potenzial ausspielen wollen, gilt es, die Kräfte zu bündeln. Dies führt zu einem Bedürfnis nach verstärkter Koordination auf regionaler Ebene. Eine regional koordinierte öffentliche Beschaffung hat folgende Vorteile:

  • Vorhandenes Know-how in der Region nutzen: In den meisten Gemeinden sind die Beschaffungsaufgaben auf verschiedene Personen und Abteilungen aufgeteilt. Oft fehlt die Kapazität, sich Beschaffungs-Know-how in allen relevanten Bereichen aufzubauen. Mit einer regional koordinierten Beschaffung kann das Know-how einzelner Personen und Gemeinden für alle Gemeinden einer Region zugänglich gemacht werden kann.
  • Zusätzliche Professionalisierung erleichtern: Die im revidierten Beschaffungsrecht geltenden Nachhaltigkeitskriterien führen zu neuen Herausforderungen und einem Bedarf an professionellem Wissen in zusätzlichen Bereichen. Eine regionale Zusammenarbeit kann, die auf kommunaler Ebene notwendige zusätzliche Professionalisierung erleichtern und unterstützen.
  • Mehr Einfluss auf Angebote nehmen: Durch eine regional koordinierte Beschaffung kann stärker Einfluss darauf genommen werden, dass das Angebot tatsächlich den Anforderungen entspricht bzw. neue Angebote entsprechend entwickelt werden.
  • Regionale Wertschöpfung stärken: Mit geeigneten Nachhaltigkeitskriterien (z.B. Berücksichtigung von Transportkosten, Produkteigenschaften) steigt die Wettbewerbsfähigkeit regional hergestellter und angebotener Produkte und Dienstleistungen. Davon profitiert das lokale Gewerbe. Die regionale Wertschöpfung kann gestärkt werden.
  • Gute Konditionen aushandeln: Durch grössere Auftragsvolumina können bessere Einkaufskonditionen ausgehandelt und Kosten gesenkt werden. 

Von guten Beispielen lernen

Was für die meisten Gemeinden in der Schweiz noch Neuland ist, wird in Vorarlberg (A) seit 15 Jahren erfolgreich praktiziert: Die knapp 100 zur Region Vorarlberg zählenden Gemeinden beschaffen eine Vielzahl ihrer Produkte und Dienstleistungen gemeinsam. Mittlerweile stehen den Gemeinden gegen 30 verschiedene Beschaffungsbereiche zur Verfügung, in denen sie nachhaltige Produkte koordiniert einkaufen können. Der regionale ÖkoBeschaffungsService (ÖBS) des regionalen Umweltverbands unterstützt Gemeinden und öffentliche Institutionen in Vorarlberg in der ökologischen Beschaffung dieser Produktgruppen.

In der Schweiz steht die regionale Koordination im Beschaffungswesen noch in den Anfängen. Einkaufsgemeinschaften gibt es bis jetzt vorwiegend zu einzelnen Produktegruppen, beispielsweise im EDV-Bereich oder im Bereich Abfallentsorgung. Die Fachstelle Energie-Regionen hat in einem Themenpapier Beispiele zusammengetragen und mögliche Formen der Zusammenarbeit aufgezeigt. Im Hinblick auf das ab 2021 geltende revidierte Beschaffungsrecht gilt es, die interkommunale Zusammenarbeit zu stärken. Mittel- bis langfristig sollte auch über regionale Beschaffungsstellen oder -plattformen nachgedacht werden. Die Region seeland.biel/bienne prüft zur Zeit, sich an einem entsprechenden Pilotprojekt der Stiftung Pusch zu beteiligen.

 

Die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft auf die regionale Ebene wird von regiosuisse in einer neuen Wissensgemeinschaft (WiGe) aufbereitet. Die WiGe wird aus drei offenen Sitzungen und zwei Workshops mit und für die Regionen bestehen. Das Programm ist in Entwicklung und wird demnächst auf regiosuisse.ch kommuniziert.
 

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