«Nur mit der öffentlichen Hand allein funktioniert es nicht»
Welche Möglichkeiten eröffnet eine bewusstere Zusammenarbeit öffentlicher und privater Engagements in der Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung und wo stösst sie an Grenzen. Diese Fragen standen im Mittelpunkt des letztjährigen Eggiwiler Symposiums. Zur Diskussion stand damit nicht, ob private oder öffentliche Trägerschaften erfolgsversprechender arbeiten, sondern vielmehr, wie sich diese auf zielführende Weise den Ball zuspielen können, um die Regional-, Gemeinde- und Stadtentwicklung möglichst wirkungsvoll zu gestalten. Neben Fragen der Legitimation, der Kompetenzen, der Verantwortlichkeiten, der Finanzierung, des Umgangs mit Unsicherheit und der Risikobereitschaft wurde auch thematisiert, wie die Übergabe von Projekten von öffentlichen an private Trägerschaften und umgekehrt erfolgreich bewerkstelligt werden kann. regiosuisse hat Jürg Inderbitzin getroffen (Vorsitzender des OK Eggiwiler Symposium) und mit ihm über die heutige Regionalentwicklung sowie über die Potenziale der verschiedenen Trägerschaften gesprochen.
Das Eggiwiler Symposium wurde 2018 zum 20. Mal durchgeführt. Wie haben sich die dort diskutierten Fragestellungen im Lauf der Zeit entwickelt?
Jürg Inderbitzin: Ein thematisches Entwicklungsbild ist nicht ablesbar. Es war aber von Anfang an ein Anliegen der Organisatoren des Symposiums, als ländliche Gemeinde nicht zu jammern, dass man ländlich ist. Ziel war es zu sehen, welche Möglichkeiten sich durch eine Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land ergeben, ob es ähnliche Themen gibt und ob man voneinander lernen kann. Von Jahr zu Jahr hat die Gruppe sich erkundigt, welche Fragestellungen in der Stadt-Land-Thematik aktuell sind und anschliessend versucht, darauf basierend, eine Veranstaltung aufzubauen.
Das 20. Symposium stand unter dem Thema «Wie können sich private und öffentliche Initiativen der Regionalentwicklung geschickt den Ball zuspielen?». Wie wichtig ist die geeignete Trägerschaft für ein erfolgreiches Projekt in der Regionalentwicklung?
JI: Das ist einer der zentralen Punkte. Eine grundsätzliche Feststellung hat uns zu diesem Thema geführt: Von den Projekten der Regionalentwicklung sind in der Regel eine Vielzahl von Personen in der einen oder anderen Art betroffen, nur mit ihrer Mithilfe lassen sich solche Projekte realisieren, nur mit der öffentlichen Hand allein funktioniert es nicht. Private, Vereine oder Einzelpersonen entscheiden nach ihrer eigenen Logik, haben ein agiles Vorgehen und reagieren auf spontane Gegebenheiten. Für die öffentliche Hand ist dies oftmals schwierig, da eine Legislatur-Planung, ein Jahresplan und ein festes Budget spontane Entscheide praktisch ausschliessen. Entsteht beispielsweise eine kurzfristige Möglichkeit innerhalb eines Projekts, kann die öffentliche Hand oftmals nicht schnell genug reagieren. Dies war der Auslöser, weshalb wir uns gefragt haben, wie können öffentliche und private Akteurinnen und Akteure dort zusammenarbeiten, wie können sie sich den Ball zuspielen? Die öffentliche Hand besitzt sehr viel Legitimation und Vertrauen. Im Gegenzug arbeiten private Trägerschaften flexibel und agil. So kann beispielsweise die Situation entstehen, dass eine private Trägerschaft mit einem Projekt startet und dieses nach einem Jahr von der öffentlichen Hand unterstützt oder weitergeführt werden kann.
Eine weitere Motivation, dieses Thema aufzugreifen, war das 20-Jahre-Jubiläum der Stiftung «Innovation Emmental-Napf» (Buch zum Jubiläum «flussaufwärts»). Die Stiftung hat es von Anfang an verstanden, Gelegenheiten wahrzunehmen und Leute geschickt einzubinden. Diese Art zu arbeiten, ist meiner Meinung nach immer öfters gefragt.
Bei welcher Thematik ist eine private Trägerschaft sinnvoll?
JI: Beispielsweise im Bereich von Versorgungsdienstleistungen wie einem Dorfladen oder dem Erhalt von Saalinfrastrukturen. Diese Themen finden auf der politischen Ebene selten einen Konsens, der dazu führt, dass ein Dorfladen durch die öffentliche Hand unterstützt wird. In einem solchen Fall könnte eine Genossenschaft den Laden tragen, was zusätzlich den Vorteil hätte, dass Mitglieder der Genossenschaft dort einkaufen würden. Dasselbe bei Gasthöfen: Vielfach nehmen diese innerhalb der Dorfkultur eine wichtige Aufgabe wahr, sie werden zum Treffpunkt und tragen zum gesellschaftlichen Leben bei.
Gab es Überraschendes am letztjährigen Symposium?
JI: Als am Nachmittag Vertreterinnen und Vertreter von «Stadt» und «Land» an den Tischen diskutierten, kam die Rückmeldung von beiden Seiten: «Eigentlich stellen wir uns die genau gleichen Fragen. Man redet einfach von anderen Grössenordnungen, aber die Fragen sind dieselben». Das finde ich nachvollziehbar, vor allem, wenn man auf der Ebene «Quartier» arbeitet. Die Vorgehensweise und die Erfordernisse sind hier sehr ähnlich wie in den Regionen. Im Quartier müssen auch verschiedene Kräfte eingebunden werden und es gibt keine hierarchische Ebene.
Welche Faktoren spielen neben der Trägerschaft eine wichtige Rolle für eine erfolgreiche Regionalentwicklung?
JI: Es ist zentral, seine Ziele klar zu formulieren und die Gelegenheiten zu erkennen, die zum Erreichen dieser Ziele führen. Gelegenheiten ergeben sich aus den Tätigkeiten all jener Personen und Institutionen, deren Aktivitäten für die Region bedeutsam sind. Dies sind nicht nur die direkt in der Region Engagierten, sondern auch solche ausserhalb – zum Beispiel Institutionen, die mit ihren Tätigkeiten Einfluss auf die Region haben: das kann beispielsweise die SBB oder das Kantonsstrassenprogramm sein.
Sich in der Regionalentwicklung zu engagieren, bedeutet, sich selbst in Projekten zu engagieren, diese zu initiieren, Finanzierungen sicherzustellen, die Projekte voranzutreiben und wo möglich an eigenständige Trägerschaften weiterzugeben. Ein wichtiger Teil im Hinblick auf die Wirkung der Regionalentwicklung besteht darin, weitere in der Region engagierte Personen oder Institutionen zu motivieren und diese in ihren Aktivitäten zu unterstützen. Dies kann durch Coaching oder auch durch Vernetzungsarbeit geschehen.
Ihre persönliche Einschätzung: Was wird in Zukunft ein zentrales Thema in der Schweizer Regionalentwicklung sein?
JI: Ein Thema, das mich seit Jahren beschäftigt und mit ein Grund ist, warum ich mich in der Stadt-Land-Thematik und im Eggiwiler Symposium engagiere, hängt mit der Frage zusammen, wie die Präferenzen und Wertvorstellungen der Leute immer wieder zwischen Stadt und Land pendeln. In den 1960er-Jahren gab es eine riesige Abwanderung in die Stadt. In der Folge wurde eine erste Regionalpolitik etabliert, damit man diese Abwanderung bremsen konnte und im ländlichen Raum gute Lebensbedingungen wie auch Arbeitsbedingungen geschaffen werden konnten. In den 1980er-Jahren kam der Trend vom «Leben im Grünen». Danach gab es erneut eine Gegenbewegung und viele Leute ziehen wieder ein städtisches Umfeld vor. Sie wollten in die Stadt, das Ländliche wurde in der Wahrnehmung vieler Menschen als rückständig empfunden. Ich bin mir sicher, wir werden wieder einen Gegentrend erfahren. Das Ländliche wird wieder Gewicht bekommen.
Die Inhalte und Erkenntnisse des 20. Eggiwiler Symposiums wurden ausgewertet und liegen nun als Synthese vor. Regionale Praxisbeispiele wie die Tätigkeiten der Genossenschaft «Wolhuser für Wolhusen», des Vereins «natürlich LUTHERTAL» oder der Gastgeberin selbst – der Stiftung Innovation Emmental-Napf – zeigen, welche Ansätze beim Zusammenspiel privater und öffentlicher Akteure zielführend sein können.
Das nächste Eggiwiler Symposium findet statt am Freitag, 13. September 2019 im Neubad, Stadt Luzern zum Thema: "Der gemeinschaftliche Kitt in Dorf und Quartier" - Wie kleinräumiges Engagement die Lebensqualität und das gesellschaftliche Leben stärkt.